Friday, November 20, 2009

(K)ein globaler Akteur - Die EU nach Lissabon

Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben sich bei der Vergabe der beiden Spitzenämter auf Herman Van Rompuy und Catherine Ashton geeinigt. Dies wird in vielen internationalen Medien als das (vorläufige) Ende der globalen Ambitionen der EU gewertet.

"After the European Union’s eight-year battle to rewrite its internal rules and to pass the Lisbon Treaty that created these two new jobs, the selection of such low-profile figures seemed to highlight Europe’s problems instead of its readiness to take a more united and forceful place in world affairs." (New York Times)


"For nearly a decade, EU politicians have been wrangling about a new rule book, calling for Europe to equip itself with leadership posts that would help their club to stride the world stage. Yet by the time national leaders arrived at a Brussels summit to fill the new posts [...], their boasts and ambition were a sad memory." (The Economist)

Die strategischen Entscheidungen der Union werden jedoch nicht in homogener und überlegter Weise getroffen. Stattdessen verhandeln die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat über die Richtung, in die sich Europa entwickeln soll; die jeweiligen nationalen Interessen dabei immer im Hinterkopf.

Angela Merkel und Nicolas Sarkozy nehmen im Rat Führungsrollen ein. Am "
Merkozy"-Tandem kommt in Europa derzeit niemand vorbei. Frankreich drängt sogar auf eine noch stärkere Kooperation zwischen den beiden größten EU-Staaten. Großbritannien steht der EU traditionell skeptisch gegenüber. Und mit David Cameron wird im kommenden Jahr aller Voraussicht nach ein erklärter EU-Kritiker zum Premierminister der Briten gewählt. Dass aus dem deutsch-französischen Tandem in absehbarer Zeit ein Dreirad wird, ist also unwahrscheinlich.

Gordon Brown, Großbritanniens derzeitiger Premierminister, ist in den Verhandlungen über die Besetzung des Ratspräsidenten mit seinem Kandidaten (Tony Blair) am Widerstand Merkozys gescheitert. Von Tony Blair hatten sich viele Beobachter eine klarere und sichtbarere Positionierung Europas in der Welt versprochen.

Blairs aussichtsloser Versuch
Verschiedene Faktoren führten zum Scheitern der (inoffiziellen) Blair-Kandidatur:
  • ein grundlegendes Konkurrenzdenken zwischen dem EU-skeptischen Großbritannien und dem Block um Deutschland, Frankreich und dem Benelux
  • die bereits erwähnte Annäherung zwischen Merkel und Sarkozy in letzten Wochen und Monaten
  • Parteienpolitik: Merkozy's konservatives Lager proklamierte den Posten des Ratspräsidenten für sich. Gordon Brown (und Tony Blair) entstammen dem sozialdemokratischen Lager. Die PES konzentrierte sich schnell auf den Posten des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik.
  • ein grundlegend unterschiedliches Verständnis vom Aufgaben- und Einflussbereich des zukünftigen Ratspräsidenten
Der letzte Punkt ist entscheidend. Hier offenbaren sich Strategiedifferenzen. Gordon Brown drängte (u.a. dem Economist und dem Guardian zufolge) seine sozialdemokratischen Kollegen: "You need to get real". Er sprach von Tony Blair als einer einmaligen Möglichkeit und warnte vor einer "permanent irrelevance" Europas, im Falle der Nominierung eines unbekannteren Politikers.

Merkozy, auf der anderen Seite, haben kein Interesse an einem "politischen Star", der ihnen auf der internationalen Bühne die Show stiehlt. Denn wenn jemand das deutsch-französische Tandem in ihrer politischen Dominanz gefährden könnte, dann wäre es ein Mann vom Formate Tony Blairs, zumal als Brite.

Globale Ambitionen
Die Europäische Union wird ihre Rolle als globaler Akteur zunächst einmal zurückstellen müssen. Merkozy haben sich im impliziten Richtungsstreit mit der Installation Van Rompuys durchgesetzt. Außenpolitisch und international bleiben sie für Barack Obama und andere Staatschefs auch nach wie vor die ersten Ansprechpartner in Europa.

Dies bedeutet einerseits die Gefahr einer Marginalisierung des europäischen Einflusses in einer zukünftigen G2-Welt, dominiert von den USA und China. Auch weil Europas Stimme weiterhin fragmentiert erklingen wird.

Andererseits hätte ein Tony Blair für Merkozy ein unberechenbares Risiko dargestellt. Das Amt des Ratspräsidenten bietet noch undefinierte Gestaltungsmöglichkeiten. Während Van Rompuy den bescheidenen Verwalter und Moderator mimen wird, hätte Tony Blair das Amt möglicherweise mehr in die Richtung "Präsident" interpretiert. Seine politische Erfahrung und sein internationales Renommee hätten ihn zu einem gefragten Ansprechpartner gemacht, sowohl bei den Medien als auch bei ausländischen Staatschefs. Diese Aussichten dürften Merkozy nicht unbedingt gefallen haben.

Tragisch für die Befürworter eines international starken Europas dürfte die Tatsache sein, dass der erste Amtsinhaber auch maßgeblich zur zukünftigen Definition und Ausgestaltung des Amtes beitragen wird. Der zweite EU-Ratspräsident wird sich an von Van Rompuy etablierten Verfahrensweisen orientieren. Er wird weniger Gestaltungsspielraum haben.

Dennoch bleibt die Hoffnung, dass die EU-Staatschefs bei der Besetzung in Zukunft mutiger werden, wenn klar ist, welche Möglichkeiten das Amt bietet (und welche es
nicht bietet).

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